Donnerstag, 11. Februar 2010

Israelisches Tagebuch 22

Meine Familie ist eindeutig eine Kaffeefamilie. Ich glaube, mein Vater trinkt so um die 10 Tassen am Tag, mein Bruder auch, gefolgt von meiner Mutter, meiner Schwester und mir mit ca. 5 Tassen braunen himmlischen Vergnügens. Wenn man die Tatsache erwähnt, dass wir alle Kettenraucher sind oder waren, versteht man etwas von dem ausgeprägten Sinn für gesundes Leben im Hause Waldman. Na gut. Lasst uns aber beim Kaffee bleiben.

Jahre lang war ich mir sicher dass es nur eine Sorte von Kaffee in dieser Welt gibt, nämlich "Elit" Kaffee. Ich nehme stark an, Ihr hattet noch nicht das Vergnügen gehabt, den israelischen Kaffee Nr. 1 zu trinken. Man kann "Elit" Kaffee insofern als Kaffee bezeichnen, weil er braun ist. Ansonsten bin ich mir nicht so ganz sicher ob dieser Staub, den man in den Kaffeedösen dieser Firma findet, je einen südamerikanischen Regenwald gesehen hat, oder eine afrikanische Plantage. Lassen wir mal den Zynismus – ich bin mir nicht sicher, ob dieses Zeug überhaupt Kaffee ist. Und doch hat man ihn in Israel literweise getrunken, in Büros, Zuhause, auf Feiern, in verstaubten Militärlagern, überall wo man halt wach bleiben muss.

Bei uns Zuhause, übrigens, auch.

Ein Problem gab es doch – meine Familie, eine aristokratische Gruppe hochnäsiger Europäer, nahm es doch schwer die gleiche Brühe wie die anderen "Barbaren" in diesem Land zu trinken. Gottseidank, eine Antwort fand sich schnell, und zwar aus zwei Richtungen gleichzeitig. Im Jahre 1999 verlies ich das heilige Land Richtung Deutschland. Ein halbes Jahr später lernte mein Bruder die charmanteste Italienerin die es gibt kennen, und heiratete sie. Und wie die Spanier die nach der Eroberung Südamerikas die Kartoffel nach Europa brachten, so haben auch meine Schwägerin und ich das Symbol jahrhundert langes preußischen und katholischen Kaffee-Trinkens mit uns in den Orient mitgebracht – die Maccinetta. Welche Freude! Seitdem kann man das Zischen des kleinen Wunderapparates im Haus meiner Eltern hören. Und wenn meine Eltern Besuch bekommen, sagt mir meine Mutter mit dem lässigsten Ton den sie im Arsenal hat – "Ofer, mach doch mal Maccinetta Kaffee", um dann zu sagen, an die Gäste gewandt, "so schmeckt der Kaffee viel besser."

Unter uns kann ich Euch aber sagen, hinter der Zuckerdose, neben dem indischen Tee, lummert eine Dose feinsten "Elit" Kaffees. Für die Barbaren, natürlich.

Und wenn wir schon bei meinen Eltern sind, möchte ich Euch eine Geschichte voller inneren Schönheit erzählen, so wie ich sie gestern von meinem Vater gehört habe.

Meine Großeltern sind aus Wien nach Jerusalem gewandert, im Jahre 1936. Mit anderen Worten, knapp. Sie taten es sich schwer, die orientalische Lebensart zu verinnerlichen. Sie haben natürlich bei dem großen zionistischen Traum mitgemacht – wie die anderen Immigranten aus aller Welt bauten sie unser Land auf, haben Hebräisch gelernt, und freuten sich als 1948 die Engländer uns verließen und der Staat Israel entstand.

Zuhause jedoch, so erzählt es mein Vater, lebte ein anderes Universum weiter, ein kleines Wien, mit Porzellantassen und Mittagsschlaf, mit "Danke schön bitte schön", mit Sätzen die mit "Damals…." Begannen und mit einem bitteren Lächeln aufhörten, mit Kaiserschmarrn und Schnaps, und mit viel Sehnsucht nach der verräterischen Heimat. Bis heute kann mein Vater, der ansonsten kein sehr gutes Deutsch spricht, mit dem reinsten Wiener Dialekt sagen – meiner Oma nachahmend – "Kenn I net, mog i net, will i net."

Eines Tages, Anfang der Fünfziger, kam mein Opa (den ich nie kennen gelernt habe, zu meinem großen Bedauern) mit einem riesigen Packet, den er fest umarmte, zurück nachhause. Er legte die große Box, verpackt mit braunen Papier und versehen mit vielen Postmarken (die mein Vater sofort mitnahm), auf den Tisch, und schaute sie mit glänzenden Augen an. Mein Vater erzählt dass die Hände meiner Oma vor Erregung zitterten als sie sich fein machte um die Nachbarn (ebenfalls aus Wien) zu holen. Nach kurzer Zeit waren sie alle da – der Dreifuss, der verrückt wurde nachdem sein Sohn im Unabhängigkeitskrieg gefallen ist, die Tante (die keine echte Tante war. Schade eigentlich, sie hat es noch geschafft, ihr Vermögen aus Europa zu holen und besaß sämtliche Häuser in Jerusalem) mit ihren drei Dackeln, und andere, dem heiligen Land fremde Figuren, die lieber Schlagsahne als Falafel aßen.

Mein Vater, sein Bruder (der ebenfalls als Soldat fiel) und ihre Zwillingsschwester, die üblicherweise für Unruhe sorgten, haben sich nicht mal getraut zu atmen als mein Opa das braune Packpapier von der Box entfernte. Meinem Vater hat er befohlen die Fenster zuzumachen und die Jalousien runterzulassen. Wie viel Zeremonie, wie viel Festlichkeit hörte ich in der Stimme meines Vaters, obwohl die Ereignisse von denen er berichtet über fünfzig Jahre zurück liegen.

Alle hielten ihren Atem als die Box aufging. Mein Vater konnte seine Neugier nicht mehr halten, er musste wissen welchen Schatz sich dort verbarg, also ging er ein Paar Schritte nach vorn und schaute über die Schulter des verrückten Dreifuss. In dem Karton, nebeneinander vorsichtig verpackt, waren über eine Dutzend Schallplatten. Mein Opa nahm die erste, schwere Vynilscheibe, und legte sie in das Grammophon. Und auf einmal war die kleine Jerusalemer Wohnung voll mit den göttlichen Tönen des Mattheus Passion von J. S. Bach.

Und für einen glücklichen Moment waren sie alle wieder daheim.

Gute Nacht aus Tel Aviv,

Ofer